Bühnenkampf

Bühnenkampf heute

Einige grundsätzliche Überlegungen zur Arbeit des Kampfchoreographen in Theater und Film

Nach nunmehr zwölf Jahren Trainer- und inzwischen acht Jahren Lehrtätigkeit mit Schauspielern, stellt sich mir, vom Kampfsport und nicht von der Schauspielerei herkommend, die pädagogische Arbeit mit Schauspielern unvermindert mit jedem Training, mit jeder neuen Choreographie als ein schier unerschöpfliches Feld von Reflektionsansätzen dar.

Eines der Themen, welches mich mit zunehmender Erfahrung erstaunt, basiert auf der Tatsache, daß sich, zumindest deutschsprachig, so wenig relevante Literatur sowohl zur Schauspielkunst, dem Berufsfeld, in welches sich unsere Arbeit integriert, als auch zur Arbeit des Kampfchoreographen selbst findet. Es scheint, als gäbe es, trotz ihrer langen Geschichte, kaum eine neuere theoretische Auseinandersetzung mit den handwerklichen und künstlerischen Aspekten in diesen beiden so reichen Arbeitsfeldern. Und das, obwohl, oder vielleicht gerade weil, bis heute in Deutschland weder der Beruf 'Schauspieler' noch der des 'Kampfchoreographen' geschützt ist (im Gegensatz z.B. zu Großbritannien).

Die Erfahrungen im Kampfsport helfen in der Einarbeitung in diesen Beruf nur bedingt. Sicher, da ist ein wesentliches gemeinsames Element in der Arbeit des Sportlers und der des Künstlers: die unerbittliche Disziplin. Aber während das sportliche Training hart die individuellen Eigenheiten und Bedürfnisse den Leistungskriterien unterordnet, kann die Arbeit mit Schauspielern von eben diesen Eigenheiten nicht abstrahieren; zu komplex ist hier das Gesamt an Faktoren, welche den je Einzelnen in die Lage zu einer überzeugenden Spielleistung, zu einem künstlerischen Ausdruck bringen.

Ist man denn nach den ersten Lehrjahren in dieser Arbeit und dem Glück der Zusammenarbeit mit guten Regisseuren und Schauspielpädagogen so vermessen, auch der Kampfchoreographie in Theater und Film ein künstlerisches Moment zuzusprechen, so ist zunächst zu fragen, wodurch sie sich, auch in den sie beeinflußenden Elementen, bestimmt. Die Frage sei an dieser Stelle erst einmal gegenwartsbezogen, ohne einen, sicherlich erforschungswerten, geschichtlichen Rückblick gestellt.
Der Bühnenkampf, in den letzten Jahren vermehrt unter der Bezeichnung stage combat zu finden (dies allerdings weniger ein bloß unreflektiertes Symptom des Sprachimperialismus als vielmehr Ausdruck der in den westlichen Ländern deutlichen qualitativen Überlegenheit der englischen und amerikanischen Ausbildung der Kampfchoreographen und ihres hierdurch bedingten internationalen Arbeitseinsatzes), ist nach meiner Beobachtung ein Begriff, der in seinem engen Sinne als Darstellung von Fechtkunst auf der Theaterbühne schon lange überholt ist und, wie auch die neueren Diskussionen (z.B. hinsichtlich der Abgrenzung zum Schaukampf) zeigen, zwar wohl nicht einer kompletten Neudefinition bedarf, aber sehr wohl einer begrifflichen Überprüfung.

Bühnenkampf, wie er in Europa begrifflich etabliert ist, als 'klassischer' Fechtkampf auf der Theaterbühne und in deren Erweitung im filmischen Geschehen, geführt zumeist mit Degen oder Schwert,1 und als solcher noch Unterrichtsfach einer jeden Schauspielausbildung, kommt in den heutigen Inszenierungen aus unterschiedlichsten Gründen2 nicht mehr allzu oft zum Einsatz. Während sich die dramatische Literatur der Neuzeit auf die verbale Zerfleischung des Individuums konzentriert, nimmt die heutige Lesart der Klassiker und ihre inszenatorische Umsetzung für die Gestaltung der Kampfszenen zumeist heutige Kampfformen auf (s. z.B. die letzten Filmadaptationen Shakespearscher Werke wie "Romeo und Julia"); hier ist eine Beherrschung von Stock-, Messer- und Faustkämpfen erforderlich.

Im Film- und Fernsehbereich sind zwar die Historienfilme ungemindert gefragt, es wird aber in der Arbeit mit den klassischen Schwert- und Degenwaffen zumeist auf Stuntmen als Double zurückgegriffen, die Hauptdarsteller 'schlagen sich' gleich den Komparsen mit einigen wenigen Basistechniken durch das Kampfgetümmel.

In den Action-Filmen dagegen - und schauen wir auf den amerikanischen Einfluß vor allem im Bereich der Film- und Fernsehproduktionen, so kommt bald kaum eine Serie oder Kriminalfilm ohne Kampfeinlagen aus - wird zunehmend die Beherrschung kämpferischer Techniken von den Darstellern selbst verlangt. Diese werden zwar mit den Mitteln der virtuellen Schnittgestaltung bearbeitet, das von den Schauspielern einzubringende Können ist aber weitaus größer als nur durch Tricks erreichbar wäre.

Eine weitere Veränderung im Rahmen der Action-Filme scheint die Tendenz weg vom Einsatz aus dem Kampfsport kommender, schauspielerisch jedoch unbedarfter Darsteller hin zu Schauspielern, die sich körperlich selbst in die Kampfszenen einzubringen vermögen (als prominentes Beispiel unter vielen mag Keanu Reeves für seine Arbeit in den "Matrix"-Filmen gelten).
Infolge der hier nur angerissenen Beobachtungen scheint es mir insgesamt treffender in unserer Arbeit statt vom Bühnenkampf vom szenischen Kampf zu reden. Diese Bezeichnung deckt nicht nur den Theater- wie Filmbereich gleichermaßen, sondern erleichtert auch die bekanntlich jeder begrifflichen Definition zugrunde liegenden Abgrenzungen. Denn szenisches Geschehen beinhaltet mit Blick auf die Suche nach einer Verortung der Kampfdarstellung schon rein sprachlich vor allem zweierlei: Eine Szene ist Teil eines umfassenderen dramatischen Geschehens, sie besitzt keinen Selbstzweck, sondern ihre Gestaltung ordnet sich einer bestimmten übergreifenden Aussageabsicht unter. Sodann ist szenisches Geschehen bestimmt vom 'als-ob'-Charakter des Handlungsvollzugs. Beides kennzeichnet, was den szenischen Kampf mit dem Schaukampf verbindet und auch von ihm unterscheidet.

Es verbindet sie, daß im Gegensatz zum Kampfsport beide, szenischer Kampf und Schaukampf, Schein- und Spielcharakter haben, es wird nicht um Überlegenheit und Sieg an sich gekämpft. Es unterscheidet sie ihre je wesentliche Zweckbestimmung: Im Schaukampf ist das kämpferische Können Selbstzweck der Darstellung, und inszenatorische Rahmenhandlungen, gar Figurengestaltungen, dienen eben diesem Zweck.3

Im Schau-Spiel eines dramatischen Werkes aber geht der Zweck des vom Schau-Spieler vollzogenen szenischen Geschehens über die Darstellung selbst hinaus. Die Schau, das ist einerseits das, was sich als Ausdruck der Anschauung darbietet, es ist andererseits auch das, was eine sinn-liche (im schönsten Doppelsinn des Wortes) Weise des Erlebens und des Erkennens kennzeichnet. Und genau hier, folgt man der ästhetischen Bestimmung der Künste, liegt ja begründet, was die dramatische Kunst in ihrer Darstellung menschlichen Handelns als Kunst ausmacht: das Durchscheinen (menschlicher) Wahrheit in einer sinnlichen Ausdrucksform der Kunst, in deren Mitteln der verdichteten Ver-anschau-lichung eben dieses Handelns. Und insofern es immer der Konflikt ist, der die menschliche Handlung vorantreibt, ist es seit jeher der Kampf in all seinen Formen und Facetten, der das Bühnengeschehen leitet.

Der körperliche oder mit Waffen ausgetragene Kampf ist hierbei also nur eine der Ausdrucksformen (und nicht immer die brutalste), er ist nicht mehr und nicht weniger als ein Moment spannungsgeladener Veranschaulichung menschlichen Handelns, er steht in einer Entwicklungskette als Zuspitzung eines Konflikts im Gesamt einer dramatischen Handlung .

Indem wir in einer szenischen Kampfchoreographie ein solches konfliktvolles Moment gestalten, Spannung schaffen, die Spannung des Aufeinanderpralls charakterlicher Eigenheiten, moralischer Werte, ethischer Prinzipien, all dies in einer tragischen oder komischen Weltsicht, bewegen wir uns auf dem Boden künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. Und es beginnt, handwerklich wie künstlerisch, der Einsatz der Mittel, derer sich die dramatische Kunst bedient. Mittel, die dann auch, zumindest handwerklich, da die Gestaltung bereichern, wo es nicht so sehr um einen künstlerischen Anspruch als vielmehr um Unterhaltungsanliegen geht, wie in den Action-Filmen. Was in ihnen zu gestalten ist, ist vor allem das Moment der Spannung, geballte Aktion, was nichts anderes heißt als Handlung.
Der Weg zum Einsatz dieser Mittel ist ein Weg der je neu sich stellenden Fragen. Eine der vielen lautet stets: Was sind in diesem Kampf dieser Figuren die spannungstragenden, den Zuschauer ergreifenden Elemente?

Zu berücksichtigen ist dann näherhin z.B. die Frage der Erzählperspektive.
Wenn die Erzählung die Vogelperspektive auf zwei Kontrahenten (als einzelne Figuren oder Gruppen) ergreift, dann konzentriert sich die Spannungsfrage sehr oft darauf, wer es schafft. Hier kommt die Darstellung des Sympathieträgers in's Spiel.

Wenn die Erzählung aus der Perspektive eines Helden (oder einer Gruppe von Helden) erfolgt, konzentriert sich die spannungsgeladene Frage darauf, ob der 'gute' Held als Symphatie-träger es schafft und/oder wie er es schafft, seine Ziele im jeweiligen Moment bzw. im Ganzen der Erzählung zu erreichen.
In jeder der Perspektiven ist es sodann im Spiel wie im Kampf die Suche und Frage nach den möglichen (Handlungs-)Brüchen, denn sie sind es, die Spannung erzeugen. Zu gestalten sind Momente der Hilflosigkeit, der scheinbaren Hilflosigkeit, der Unterlegenheit in Alternanz mit Momenten der Überlegenheit.

Das Geschehen sollte ergreifen. Hierzu bedarf der Kampf, wie bei allem dramatischen Geschehen, selbst in vor allem filmisch angewandter epischer Erzählbreite, der Verdichtung.

Und gleichzeitig der Entfaltung, denn (gleich wie im Schaukampf) müssen schnelle Techniken so gedehnt werden, daß sie für das Auge des Zuschauers nachvollziehbar sind, es bedarf der Vergrößerung der Techniken für das Auge des Theaterzuschauers und der Entfaltung nur einzelner Bewegungssequenzen für das Kameraauge. Im komischen Kampf gilt es zudem, Bewegungen zu überziehen, die Größe des Anspruchs der Figur mit ihrem Handeln zu kontrastieren.

Fragen dieser Art nach den jeweiligen Eigenheiten der Konfliktfelder sind die Grundlage der Regiekonzeption und in Folge der Kampfkonzeption und -choreographie. Doch während das wichtigste Material des Regisseurs das schauspielerische Können seiner Darsteller ist, benötigt der Kampfchoreograph zusätzlich ihre körperlichen Fertigkeiten. Er benötigt beides, denn gestaltet er z.B. den Kampf des 'bösen' Helden, so ist es nicht mit einigen Techniken getan, die zeigen, daß der Böse die Regeln bricht, die höhere Darstellungsebene ist dann erreicht, wenn in der Artigkeit seines Kampfes auch sein Charakter zum Ausdruck gelangt.
Gelingt es, in der Gestaltung der szenischen Kämpfe die Artigkeit menschlichen Handelns, die Artigkeit eines Protagonisten in seinen charakterlichen Eigenschaften, die Artigkeit einer Gruppe oder Masse in den sie vorantreibenden Kampfmotiven, in einer, sei es auch unterhaltsamen Verdichtung zu erfassen, welche die Zuschauer emotional zu berühren vermag, so kann man sagen, daß der szenische Kampf ein künstlerisches Moment erfüllt hat, in welchem er sich mit der Schauspielkunst zu decken und sie zu ergänzen vermag.

Was bedeutet nun dieser Bestimmungsansatz sowie die oben umrissenen heutigen Entwicklungstendenzen für die Arbeit des Kampfchoreographen?
Insofern der 'Bühnenkampf'-Unterricht an Schauspielschulen mehrheitlich durch Kampfchoreographen erfolgt, ist eine Veränderung zunächst im Bereich der Schauspielausbildung gefragt, mit der nicht nur punktuellen, zumeist auf Workshops beschränkten Unterweisung in den - ebenso zumeist nach kurzer Zeit wieder vergessenen -Techniken von Schwert- und Degenkampf, sondern der grundsätzlichen Befähigung zum kämpferischen Körpereinsatz (mit den Basiserfordernissen in u.a. Kondition, Kraft, Schnelligkeit der Reflexe, Distanzbewußtsein, akrobatischen Grundlagen) und der Erweiterung des klassischen Bühnenkampftrainings auf moderne Waffen und waffenlosen Kampf.

Im Bereich der choreographischen Arbeit bleiben die Anpassung an die inszenatorischen Vorstellungen des Regisseurs sowie die von der Sicherheitspriorität bestimmte, Vertrauen in jede Bewegung aufbauende Arbeit mit den Schauspielern in den jeweiligen Grenzen ihrer körperlichen Verfaßtheit und der zur Vorbereitung zur Verfügung stehenden Zeit weiterhin die maßgeblichen Parameter.4 Da jedoch die Kontinuität der Figurengestaltung im Zuge der Kampfchoreographie oft verloren geht, wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Choreograph wünschenswert, was leider im Zeitdruck einer Produktion zumeist untergeht.

Im filmischen Bereich erlangt, neben den klassischen choreographischen Aufgaben, deutlich die individuelle Arbeit mit dem einzelnen Schauspieler an Bedeutung. Hier gilt es in der Choreographie vermehrt, eben solche szenischen Kampfabläufe zu gestalten, die nicht der Fertigkeiten eines kampferprobten Doubles bedürfen oder sich auf Massenszenen mit Komparsen konzentrieren, sondern das jeweilige kämpferische Können, bzw. Teil- oder Nichtkönnen der Schauspieler zu berücksichtigen, und in Zusammenarbeit mit dem Kamerateam Techniken auf mögliche Einstellungen auszuwählen, bzw. Einstellungen auf aussagekräftige Techniken.

Diese Beobachtungen, entstanden im Rahmen einer Lehrtätigkeit, die es ermöglicht, Schauspieler über vier Jahre hinweg, kontinuierlich mit wöchentlichem Unterricht sowie in ihren Theater- und Filmprojekten zu betreuen, sind der Beginn einer Bemühung, die Arbeit im Bereich der Kampfchoreographie strukturell zu erfassen und so die Probenbeobachtungen greifbar und operabel zu machen. Denn gleich der Arbeit des Schauspielers und des Regisseurs birgt auch unser Beruf das Glück, ein nicht endender Lernprozeß zu sein.

1 Vgl. hierzu auch die Begriffsdefinitionen neuestens Datums wie in Wikipedia zu finden.
2 Nicht zuletzt wird er aus schlicht finanziellen Gründen weggelassen, da sich kleinere Bühnen oft keine Kampfchoreographen leisten können.
3 Über die in der Geschichte der Menschheit als Kulturgeschichte tief verwurzelten Ursprünge und die bleibende Aktualität dieser Zweckbestimmung finden wir eine bis heute nicht überholte Analyse in Johan Huizingas Homo Ludens.
4 Bei einer Inszenierung mit Einsatz von 'modernen' (vielfach ja aus den asiatischen Kampfformen herrührenden) Choreographien ändert sich allerdings die Vorbereitungszeit, wenn es sich um eine Arbeit mit nicht kampftrainierten Schauspielern handelt. Zwar erfordert auch das Einstudieren von Degen- und Schwerttechniken eine gewisse Zeit, vor allem um den Sicherheitsfaktor in der Aufregung einer Aufführung zu gewährleisten, aber einige Grundtechniken sind bei intensivem Training in einem kurzen Zeitraum erlernbar. Bei den asiatischen Kampftechniken dagegen liegt die Verletzungsgefahr weniger beim Partner als bei den Einzelnen selbst, hier ist unter Umständen eine mehrwöchige Aufbauarbeit erforderlich, vor allem um Verletzungen wie Sehnenrisse zu vermeiden.

Jürgen Bichler